Mit dem vergangenen 8.März und der weltweiten Mobilisierung für die feministische Bewegung möchten wir euch einen Einblick in das Thema Agrarökologie, Feminismus und Dekolonialisierung geben. Was können wir von verschiedenen Kämpfen weltweit und indigenem Widerstand um ökologische Lebensräume lernen? Ein Einblick in den Artikel von Agroecology Now! 

Hier der Link zum englischen Artikel  Linking food and feminisms: learning from decolonial movements - Agroecology Now!

Ernährung und Feminismus verbinden: Von dekolonialen Bewegungen lernen

Feministische Werte sind zentral für viele Bewegungen für Ernährungssouveränität und Agrarökologie.  Feminismen, die eine antikoloniale, dekoloniale und indigene Perspektive einbringen, arbeiten daran, nicht-hierarchische Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und der Natur und durch diese Verschiebung auch die Beziehung zwischen Menschen und ihrer Nahrung wiederherzustellen.        Jede feministische Bewegung ist aus unterschiedlichen historischen, geographischen und soziokulturell-politischen Kontexten heraus entstanden. Was alle diese Feminismen gemeinsam haben, ist das Ziel, patriarchale, strukturelle Ungleichheit und systematische Diskriminierung von nicht-cis-männlichen (cis= Menschen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren; Gegenteil von cis ist trans). Geschlechtern zu bekämpfen. Foodways sind ein Ort, an dem diese Konfrontation im Vordergrund steht.

Feminismen jeglicher Art sind emanzipatorische Bewegungen, aber die erste Emanzipation ist die vom eigenen verinnerlichten Patriarchat. Es ist ein intensiver persönlicher Prozess des Verlernens und Umprogrammierens, der kollektiv gemacht werden muss. Feministische Agrarökologien und dekoloniale Feminismen bieten einen Weg nach vorne, der jede Person und Gemeinschaft dort abholt, wo sie in ihrem eigenen persönlichen und kollektiven Prozess stehen. 

Feminismen in der Agrarökologie und Ernährungssouveränität 

Agrarökologie wird als nachhaltige Alternative zum industriellen Landwirtschaft Modell vorgeschlagen. Einige Versionen der Agrarökologie konzentrieren sich auf die landwirtschaftlichen Praktiken und beabsichtigen nicht, den Status quo der ungerechten Machtverhältnisse in der Ernährung in Frage zu stellen. Viele Agrarökologie- und Ernährungssouveränität Bewegungen, die an der Basis entstehen, konzentrieren sich jedoch auf soziale Gerechtigkeit und versuchen, feministische Werte zentral zu halten. In bestimmten Räumen hört man heute zum Beispiel häufig: "Ohne Feminismus gibt es keine Agrarökologie". 

Ein Grund dafür ist die entscheidende Rolle, die FTIQ (Frauen, trans, inter, und genderqueere Personen) in der Landwirtschaft als Saatgut Bereiterinnen, Domestiziererinnen von Pflanzen und Hüterinnen der Vielfalt spielen. FTIQ sind kreative Bewahrerinnen von Lebensmitteln, Meisterinnen der Ernährung und Überliefererinnen von verwurzelter Geschichte durch ihre Rezepte und Geschichten. FTIQ sichern und bereiten Lebensmittel für ihre Haushalte und Gemeinschaften zu, sie sind Versorgerinnen, haben Handlungsmacht, bringen innovative Veränderungen hervor und bauen Alternativen und soziale Bewegungen auf, dennoch sind sie weitgehend von wirtschaftlichen Möglichkeiten und Entscheidungsräumen ausgeschlossen.

Schlicht und einfach ausgedrückt: Nahrung erhält das Leben. Agrarökologie und Ernährungssouveränität sind Wege, sich auf Lebensmittel zu beziehen, die Körper, Gemeinschaften und die Umwelt nähren, Generation für Generation. Bei der Agrarökologie geht es um die Pflege der Böden, des Wassers, der Lebenszyklen von Mikroorganismen, Insekten und anderen Tieren des Agrarökosystems, der Artenvielfalt von Saatgut und Pflanzen sowie der Artenvielfalt und um die Menschen, die das Land bearbeiten, sowie diejenigen, die die Lebensmittel verarbeiten, transportieren und essen. Die Feminismen, die der Agrarökologie und der Ernährungssouveränität zugrunde liegen, zielen darauf ab, das Leben und die Reproduktion des Lebens in den Mittelpunkt ihrer Anliegen zu stellen. Im Fall der Agrarökologie bezieht sich "Leben" auf die Gesundheit der natürlichen und sozialen Ökosysteme, von denen die Menschen und ihr Wohlergehen ein Teil sind und in denen der Zugang zu Nahrung für alle zentral ist. Feministische Praktiken nähren ein Spinnennetz von gegenseitigen Abhängigkeiten und Beziehungen, die soziale Widerstandsfähigkeit erzeugen. Dieser Ansatz steht in krassem Gegensatz zu Nahrung als Ware, die von linearem Denken, Handlungen, Entscheidungen und Beziehungen geleitet wird, die auf Herrschaft, Profit oder individuellem, kurzfristigem Gewinn basieren. Feministische Agrarökologien stellen die Verbundenheit von Mensch und Natur in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen und politischen Systeme. Die Produktion von Nahrungsmitteln auf eine Weise, die gleichberechtigte Beziehungen fördert, erfordert die Berücksichtigung der unsichtbaren Sorgearbeit, die auf den Feldern und hinter verschlossenen Türen stattfindet. Was an der Sorgearbeit unsichtbar gemacht wird, ist nicht nur die Arbeit selbst, sondern auch die Art und Weise, wie gesunde Gemeinschaften und Familien auf dem Rücken dieser Arbeit aufgebaut werden. Feministische Agrarökologien erkennen an, dass das, was als "produktive Arbeit" angesehen wird, wie der Verkauf von Cash Crops (Exportfrüchte), nicht wichtiger ist als die Arbeit der Reproduktion, wie die Produktion von Nahrungsmitteln für den Hausgebrauch. 


Von dekolonialen Feminismen lernen

Feministische Bewegungen, die antirassistisch, dekolonial, anti- und postkolonial sind, einschließlich des indigenen Feminismus, bieten andere Möglichkeiten, über die Verbindung zwischen Feminismus und Nahrung nachzudenken. Speziell aus dem Kontext von Turtle Island und Abya Yala geboren, bietet die Dekolonialität eine besonders kraftvolle Linse.   

Kolonialität bezieht sich auf Machtverhältnisse, die als Ergebnis des Kolonialismus entstanden sind, aber in der modernen Gesellschaft fortbestehen. Kolonialität behauptet, dass einige Menschen überlegen und andere minderwertig sind. Unter dem Kolonialismus wurden nicht-weiße Menschen als minderwertig gegenüber weißen Europäern und FTIQ als minderwertig gegenüber cis-Männern angesehen. Der reiche Ausdruck von nicht-binären Geschlechtern wurde ausgelöscht, beschämt und liess nur Platz für Heteronormativität (Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschauung, welche die Heterosexualität als soziale Norm postuliert. Zugrunde liegt eine binäre Geschlechterordnung, die von einer dualen Einteilung von Mann und Frau ausgeht.)

 Überzeugungen, die das "Anderssein", das Unterlegene und das Überlegene einbetteten, wurden und werden als Werkzeuge zur Trennung und Validierung kolonialer Beziehungen verwendet. Diese allgegenwärtige Kultur der Hierarchie, Diskriminierung, Beherrschung und Kontrolle besteht in den heutigen Strukturen des Wissens und der Kultur sowie in vielen sozialen Strukturen fort. Aus dieser Perspektive geht es im Feminismus darum, historischen Schaden rückgängig zu machen und Raum für FTIQ insbesondere schwarzer und brauner Hautfarbe zurückzuerobern. Das Konzept von Geschlecht selbst wird als eine koloniale Erfindung der Unterordnung betrachtet.  Intersektionalität weist auf die Art und Weise hin, wie diese Machtstrukturen Menschen, die nicht in die Kategorie cis weisser Männer fallen, durch Diskriminierung aufgrund von Sexismus betreffen und wie dies nicht getrennt von Rassismus, Klassismus und anderen Formen struktureller Diskriminierung verstanden werden kann.

Dekolonialität schlägt eine "Dekolonisierung des Geistes" vor, in der Wissen und Sein vom kolonialen/modernen Projekt "abgekoppelt" werden, einschließlich der Neubewertung von Kultur, Sprache und Spiritualität. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der Entwicklung des kolonialen Konzepts von Geschlecht und der des kolonialen Konzepts von Natur, in der die Ausbeutung von beiden für das kapitalistische Projekt notwendig wurde. Der Kolonialismus brachte ein extraktives kapitalistisches Denken mit sich, das die Verschmutzung und Degradierung von Land und Wasser zuließ und die Menschen von der Natur entfremdete. In ähnlicher Weise wurden und werden FTIQ mancherorts immer noch als unterworfenes Eigentum behandelt. Dekoloniale Feminismen erkennen an, dass die Gesundheit der Erde grundlegend für die Gesundheit aller menschlichen und nicht-menschlichen Wesen ist und dass die Beziehungen, die Menschen mit natürlichen Ökosystemen unterhalten, Teil dessen sind, was sie sind, und nicht etwas Sekundäres oder Optionales. Dekoloniale feministische Kämpfe konzentrieren sich sowohl auf die Verteidigung des Territoriums als Land als auch auf die Verteidigung der Körper. “Weder Land noch Frauen* sind zu eroberndes Territorium" ist ein Satz, der von Aktivistinnen in Lateinamerika und Spanien verwendet wird. 

Eine weitere mächtige Waffe des Kolonialismus ist die Störung indigener Wirtschaftsstrukturen, zum Beispiel die Abschaffung von Systemen der kollektiven Landbewirtschaftung und Praktiken der Solidarität, des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung. Dekoloniale Feminismen stellen einen Weg dar, der sich weg vom individualisierten Denken und Handeln hin zur Pflege des kollektiven Wohlergehens bewegt; es ist ein Wechsel von der Kernfamilie, der Familienlandwirtschaft und dem Ausstechermodell monogamer und heteronormativer Beziehungen hin zu Netzwerken funktionaler, unterstützender Gemeinschaften. Die Agrarökologie als Modell für die Landwirtschaft birgt in der Tat ihr transformatorisches Potenzial als kollektives Handeln auf territorialer Ebene. Ein Hof allein kann keine Delle in das industrielle Lebensmittelsystem machen, aber wenn viele Akteure kollektiv arbeiten, als Ökosystem funktionieren und in einem Territorium zusammenarbeiten, in dem alle das "Leben" in den Mittelpunkt stellen, haben sie eine faire Chance. 

Die Türen, die dekoloniale Perspektiven für Aktivist*innen, WissenschaftlerInnen und andere in Bezug auf Agrarökologie und Ernährungssouveränität öffnen, sind eine Neuinterpretation der Geschichte, die uns hilft, den Schaden zu verstehen, der Körpern und Territorien durch den historischen Kolonialismus und heute durch die allgegenwärtige Kolonialität zugefügt wurde. Dekoloniale Praxis bedeutet, diese Vorstellungen von Kolonialität zu delegitimieren und Beziehungen zu dekolonisieren: Beziehungen mit sich selbst, mit anderen, mit Spiritualität, mit Nahrung und mit der Erde.  Beziehungen zu dekolonisieren" bedeutet anzuerkennen, dass eine Vielzahl von Denk-, Seins- und Wissensweisen gültig sind; dass es nicht den einen "richtigen Weg" gibt und keine Trennung, Überlegenheit oder Unterlegenheit, wo wir gelehrt wurden, sie zu sehen. Dekolonialer Feminismus ist eine Praxis, in der wir mit der Aufgabe konfrontiert sind, mentale Trennungen und Hierarchien, die uns auferlegt wurden, auszulöschen, einschließlich Produktion über Reproduktion, Industrie über Natur, Geist über Körper und Stadt über Land. Dazu gehört, die falsche Trennung zwischen Nahrung und Medizin, Klimagerechtigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Ernährungsgerechtigkeit zu überprüfen. Es geht darum, bewegungsübergreifend zusammenzuarbeiten und die Kraft der Diversität zu feiern, statt sie zu unterdrücken. 

Wir solidarisieren uns mit weltweiten Kämpfen und der schweizerischen feministischen Bewegung in diesen unsicheren Zeiten und versuchen mit unserem Projekt nicht nur Gemüse zu retten, sondern auch für eine bessere Zukunft zu kämpfen. 

Euer grassrooted Team